Dokters Brötchenfrage: Wie hältst Du's mit der Ausgangssperre?

Ausgangssperren sind des Teufels. Das sagt gefühlt gerade jeder außer Karl Lauterbach. Aber Karl Lauterbach ist doch sonst ein schlauer Mensch. Ich stelle mir also die Frage: „Sag, mein Dokter, wie hältst Du’s mit der Ausgangssperre?“

Das Narrativ von der bösen Ausgangssperre sagt, dass man die Leute besser raus an die Luft lassen solle, anstatt sie drinnen einzusperren, denn drinnen passieren die Ansteckungen. Herrscht aber eine Ausgangssperre, kann ich es aber nur mit den Leuten in meinem Haushalt zu tun haben, denn um von meinem drinnen zu jemand anders nach drinnen zu kommen, um den anzustecken, müsste ich erstmal nach draußen. Und das geht ja nicht, wegen der Ausgangssperre. Wie man es auch dreht und wendet, Ausgangssperren schränken Mobilität ein, eingeschränkte Mobilität bedeutet weniger Kontakte, und weniger Kontakte machen weniger Corona.

Eine nächtliche Ausgangssperre führt jedoch nur zu einer um etwa 10% eingeschränkten Mobilität, wie eine Auswertung von Mobilfunkdaten zeigt. Wenn wir uns anschauen, wie stark eine Ausgangssperre unsere Grundrechte einschränkt: Steht das in einem guten Kosten-Nutzen-Verhältnis?

Machen wir einmal folgende Milchbrötchenrechnung. Angenommen zehn Unverbesserliche treffen sich zu einer Corona-Party. Wie viele Kontakte können theoretisch entstehen? Der erste trifft neun weitere, der zweite trifft den ersten nicht mehr, denn den hat er schon getroffen. Er trifft nur noch acht weitere. Der dritte trifft noch sieben, usw. In unserem Modell entstehen also 9+8+7+…+1=45 Kontakte. Bleibt nur ein einziger zu Hause, gibt es nur 8+7+6+5+…+1=36 Kontakte. Durch eine Einschränkung der Mobilität auf unserer fiktiven Corona-Party um 10% haben wir also die Kontakte, und damit auch den R-Wert um 20% gesenkt! Und so funktioniert das auch im Großen. Kleine Einschränkungen der Mobilität verhindern eine große Anzahl an Kontakten und senken damit den R-Wert deutlich.

Bleibt die Frage: Was bringt die Ausgangssperre im Vergleich zu anderen Corona-Maßnahmen? Nicht viel, sagt ein Paper, das vor kurzem in Science erschienen ist. Demzufolge können Beschränkungen im privaten Bereich den R-Wert um bis zu 42% senken, in der Bildung um 38% und in Unternehmen um 27%. Ausgangssperren, die zusätzlich zu den oben genannten Maßnahmen getroffen werden, bringen lediglich einen zusätzlichen Effekt von höchstens 13%.

Aber diese 13% können der Game Changer sein. Nämlich genau dann, wenn sie den R-Wert von >1 auf <1 drücken. Mit einer Ausgangssperre alleine wird man keinen Blumentopf gewinnen. Das wäre auch ziemlich idiotisch, die Leute zu Hause einzusperren und gleichzeitig Schulen und Geschäfte zu öffnen! Aber als wohldosierte Ergänzung zu einem Set von Maßnahmen – z.B. auf die Nachtstunden begrenzt – kann sie sehr sinnvoll sein, auch wenn sich nicht alle immer und zu 100% dran halten. Und was die Grundrechte angeht: Von all den Leuten, die sich jetzt auf Facebook ins Hemd machen, hab ich vor Corona keinen nach 21 Uhr auf der Straße gesehen!

#VivaLaCarbolution

Ein Video von Dirk Forster, Vorschaubild von Michaela Reinhard.