Dokters Brötchenfrage: Wie hältst Du's mit der Inzidenz?

„Wenn man so viel testet, wird man mehr Menschen finden, die Corona haben. Also habe ich zu meinen Leuten gesagt: ‚Testet bitte weniger!‘” Donald Trump hatte offensichtlich recht im Juni letzten Jahres, die Inzidenz hängt irgendwie mit der Testquote zusammen. Aber wie stark eigentlich? Und was taugt sie noch als Messgröße oder Grenzwert, jetzt, wo wir plötzlich so viel testen? Ich frage mich: „Mein Dokter, wie hältst Du’s mit der Inzidenz?“

Eins ist schonmal klar. Die gemessene Inzidenz, die wir jeden Tag in den Nachrichten hören, ist wesentlich niedriger als die tatsächliche, reale Inzidenz. Dazwischen liegt die Dunkelziffer. Mit steigender Testzahl nähert sich die gemessene Inzidenz der tatsächlichen Inzidenz an, denn immer mehr Dunkelfälle kommen ans Licht. Die Inzidenz steigt. Nur: an der Anzahl der durchgeführten PCR-Tests, und die alleine werden für die Berechnung der Inzidenz herangezogen, ändert sich schon seit Anfang der zweiten Welle - nix.

Dazu muss man sagen, dass Deutschland gar nicht so genau weiß, wie viel es testet. Es gibt keine genaue Statistik über die durchgeführten PCR-Tests, es gibt nur eine Gruppe von Laboren, regelmäßig über 200 Stück, die ihre Zahlen freiwillig ans RKI melden, und die die Tendenz erkennen lassen. Wenn die Inzidenz hoch ist, werden ein paar mehr Tests gemeldet, wenn sie niedrig ist, ein paar weniger. Aktuell sind es relativ viele, aber z.B. von dem Niveau um Weihnachten sind wir noch weit entfernt. Also keine Steigerung der PCR Testzahl.

Aber: Seit einiger Zeit sind Antigen-Schnelltests sowohl als Selbsttest, als auch an der Teststation für jedermann verfügbar. Durch die einfache Durchführung eines Schnelltests – und natürlich auch dadurch, dass man in immer mehr Regionen zu immer mehr Anlässen ein negatives Schnelltestergebnis nachweisen musste – gingen die Testzahlen durch die Decke. Und alle, die im Schnelltest einen positiven Befund haben, werden direkt zum PCR-Test durchgeleitet. Es werden also zwar heute nicht mehr PCR-Tests durchgeführt, dafür wird aber wesentlich gezielter getestet. Dadurch steigt die Inzidenz. Aber wie stark?

Das RKI kann das in etwa beziffern. In KW12 gingen 6% der PCR-bestätigten Corona-Infektionen ein positiver Schnelltest voraus. Die Inzidenz war also da 6% höher, als sie gewesen wäre, wenn die Schnelltests nicht durchgeführt worden wären. Jedenfalls wenn man davon ausgeht, dass die Leute mit positivem Schnelltest sonst keinen PCR-Test gemacht hätten.

Wie sieht das in Regionen aus, in denen viel getestet wird? Beispiel Hamburg. In Hamburg gab es in den KW12-14 2.035 positive Schnelltestbefunde. 31,5% davon waren falsch positiv, 1.394 wurden durch PCR bestätigt. Das macht einen Anteil von 16,6% an allen PCR-Positivbefunden aus. Bedeutet, dass die Inzidenz in Hamburg um 16,6% höher ist. Jedenfalls wenn man davon ausgeht, dass die Leute mit positivem Schnelltest sonst keinen PCR-Test gemacht hätten.

Im Saarland ist die Lage ähnlich. In den KW11-13 wurden 671 positive Schnelltests festgestellt. Über die Falschpositiv-Rate gibt es im Saarland überraschender Weise keine systematische Erhebung. Die Schätzungen schwanken zwischen 15-20% im Stadtverband Saarbrücken und 42-44% im Landkreis St. Wendel. Wir werden keinen großen Fehler machen, wenn wir mit dem Hamburger Wert rechnen und davon ausgehen, dass 460 tatsächlich infiziert waren. Das hat die Inzidenz um 16,0% angehoben, vergleichbar mit Hamburg. Jedenfalls wenn man davon ausgeht, dass die Leute mit positivem Schnelltest sonst keinen PCR-Test gemacht hätten.

Für die KW15 und 16 ergeben sich auf diese Weise im Saarland Steigerungen von um die 20%, wenn man davon ausgeht, dass die Leute mit positivem Schnelltest sonst keinen PCR-Test gemacht hätten.

Aber kann man denn davon ausgehen, dass die Leute mit positivem Schnelltest sonst keinen PCR-Test gemacht hätten? Kann man irgendwie nachweisen, dass durch die Schnelltests Infektionen gefunden werden, die sonst nicht gefunden worden wären?

Wir haben ja gesagt, dass nicht mehr PCR getestet wird, sondern gezielter. Wir können also erwarten, dass durch die Bestätigung der positiven Schnelltestbefunde die PCR-Positivrate steigt.

Schauen wir uns die Positivraten in den Kalenderwochen 4 und 5 an, in denen die Inzidenz vergleichbar mit jetzt waren. Damals lagen sie bei 8,74 und 8,90%. Zu der Zeit gab es noch kein Schnelltestangebot für Jedermann. Man würde also erwarten, dass die Werte heute spürbar höher liegen, schätzungsweise zwischen 1 und 2 %. Der Wert für KW16 liegt bei 8,82%. Eine Steigerung ist das nicht.

Ist es an Ende vielleicht gar nicht so, dass durch die Schnelltests Infizierte gefunden werden, die man sonst übersehen hätte? Es gibt jedenfalls keine Evidenz dafür! Denn es ist eben nicht so, dass Leute, die heute einen positiven Schnelltest haben, sonst nicht zum PCR gegangen wären. Ein typischer Infizierter hat Symptome und geht natürlich zum Test. Früher ging man direkt zum RCP, heute geht man vielleicht vorher noch zum Schnelltest und dann zum PCR. So entstehen die Anteile der positiven Schnelltests an der Gesamtheit der bestätigten Corona Fälle.

Natürlich helfen uns die Schnelltests, Infektionen in festen Gruppen zu finden und zu unterbinden, z.B. in der Bildung oder im Berufsleben. Im öffentlichen Raum, z.B. wenn der Schnelltest als Eintrittskarte für den Handel gelten soll, überwiegen ganz klar die Gefahren (Stichwort: Falschnegativrate)!

Dass durch vermehrtes Testen asymptomatisch Infizierte gefunden wurden in einem Maßstab, der für die Inzidenz relevant ist, darauf gibt es keinen Hinweis!

So plausibel das auch klingen mag, und so prominent das auch in Talkshows vertreten wird, aber bisher hat das vermehrte Testen keinen messbaren Einfluss auf die Inzidenz! Wenn die Inzidenz, also das, was wir jeden Tag in den Nachrichten hören, steigt oder fällt, dann liegt das nach wie vor ganz einfach daran, dass wir mehr oder weniger Infizierte haben.

Quellen

Twitter: Donald Trumps Teststrategie
twitter.com/jaketapper/status/1274510586777407488

RKI: Erfassung der SARS-CoV-2-Testzahlen in Deutschland
www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Testzahl.html

RKI: Werden die Meldedaten durch mehr Tests und die wachsende Anzahl an Schnelltests verzerrt?
www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/gesamt.html

NDR: Schnelltestzahlen aus Hamburg
www.ndr.de/nachrichten/hamburg/coronavirus/Probleme-mit-der-Statistik-bei-positiven-Schnelltests,schnelltests166.html

Corona-in-Zahlen.de: Hamburg
www.corona-in-zahlen.de/bundeslaender/hamburg/

Saarbrücker Zeitung: Schnelltestzahlen aus dem Saarland (KW11-13)
www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/landespolitik/corona-schnelltests-im-saarland-das-leisten-und-kosten-sie_aid-57319533?fbclid=IwAR2ggB-BBjE4wUjLiUQylsT6ldLOrn0bT8EaqP53F5U3Af6mhkguJi1hazE

Twitter: Schnelltestzahlen aus dem Saarland (KW15)
twitter.com/sozial_media/status/1384942164803735559

Saarbrücker Zeitung: Schnelltestzahlen aus dem Saarland (KW16)
www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/landespolitik/seit-einfuehrung-der-bundesnotbremse-weniger-schnelltests-im-saarland_aid-57628635

Saarbrücker Zeitung: Positive Corona-Schnelltests oft fehlerhaft
www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/landespolitik/positive-corona-schnelltests-auch-im-saarland-haeufig-fehlerhaft_aid-57635129

SR: Durchgeführte Tests und Positivrate im Saarland
www.sr.de/sr/home/nachrichten/panorama/corona_aktuelle_fallzahlen_saarland_100.html

Archive.org: Durchgeführte Tests und Positivrate im Saarland
web.archive.org/web/*/https://www.sr.de/sr/home/nachrichten/panorama/corona_aktuelle_fallzahlen_saarland_100.html

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Ein Video von Dirk Forster, Vorschaubild von Michaela Reinhard.